2. Anfängergeist

Anleitung zum Unglücklichsein

 

„Schubs mich nochmal an, Mama!“ ruft mein Sohn quietschvergnügt. Ich überlege gerade, was ich heute kochen soll. Nein, ich koche nicht besonders gerne. Mein Mann und mein Kind sind noch dazu nicht gerade leicht zufriedenzustellen.

Mal überlegen, Spaghetti Bolognese? … nein, das hatten wir erst vor zwei Tagen … Mohnnudeln? … Hm, etwas gesündere Kost würde uns nicht schaden … Ah, ich hab´s: Gemüseauflauf! … Hm, da bräuchte ich noch ein paar Kartoffeln. Mist, der Laden um die Ecke schließt in 10 Minuten!

Wie mache ich jetzt meinem Kind klar, dass wir jetzt sofort gehen und wir nicht (wie versprochen) noch eine viertel Stunde, hier auf dem Spielplatz bleiben?

Das gibt bestimmt ein riesen Theater. In letzter Zeit habe ich sowieso das Gefühl, dass ich mich ganz schön oft nach meinem Kind richte. Mein Sohn verweigert sich jetzt bestimmt total, wenn ich ihm meine Pläne eröffne.

Ich hasse es, wenn ich ihn zu etwas überreden muss. Wenn ich ihm meine Pläne ankündige, schreit er bestimmt die ganze Stadt zusammen und alle denken, dass ich die schlechteste Mutter der Welt bin. Ja, ich weiß, das Schreien ist ein Ventil, aus welchem die Spannung aus ihm fließen kann, doch muss es wirklich so laut sein? Ich mag es überhaupt nicht, im Mittelpunkt zu stehen.

Ich sehe die Leute schon vor mir, wie sie ihre Köpfe schütteln, mir einen abfälligen Blick zuwerfen und dabei überheblich seufzen. Pah, die sollen sich selbst an der Nase nehmen, bei denen läuft bestimmt auch nicht immer alles rund. In solchen Situationen würde ich es begrüßen, wenn ich einfach im Erdboden versinken könnte. Ach, ich mache alles falsch.

„MAMA, schubs mich endlich an, ich will endlich weiterschaukeln!“, die inzwischen schrille Stimme meines Sohnes, drängt sich mitten in meine Gedanken.

„Muss immer alles nach deinem Kopf gehen? Dann bleiben wir halt hier und es gibt eben nichts zum Mittagessen!“ schmettere ich ihm entgegen.

Was ist passiert?

Ich erlebe die Welt nicht mehr, wie sie ist, sondern nur so, wie ich denke, dass sie ist.

Mein Geist war voll von Gedanken aus der Vergangenheit, also mit massig Wissen, wie mein Sohn auf ähnliche Situationen in der Vergangenheit reagierte. Ich spürte auch die dazu passenden Gefühle, wie Wut und Hilflosigkeit. Mein Geist zeigte mir die unschönen Bilder, wie die Situation enden wird.

Plötzlich konnte ich sogar „Gedanken lesen“ und wusste genau, dass die am Spielplatz anwesenden Menschen, mich zur schlechtesten Mutter auf Erden küren. Den Abschluss meiner Gedankenparade machte ein allgemeiner, aber wirkungsvoller „Selbstzweifler“.

So bleibt kein Platz für Neues.

Ich kann überhaupt nichts erleben oder erfahren, solange ich denke, dass ich schon im Vorhinein weiß, was passieren wird.

Das Ergebnis ist eine verbitterte Mutter, die ihr Kind für etwas anmotzt, was nur in ihrem Kopf passierte.

Anfängergeist

Was wäre, wenn ich mich stattdessen öffne und neugierig auf die jeweilige Situation wäre?

Ich könnte mich einfach vom Leben überraschen lassen!

Mein Geist wäre leer und könnte Neues aufnehmen. Der Anfängergeist lebt vollkommen in der Gegenwart, anstatt sich in der Vergangenheit zu verlieren oder sich mit Zukunftsängsten zu beschäftigen.

Ich gebe mich einem unschuldigen, neugierig forschenden und interessierten Bewusstsein hin. Ich bin so, völlig unbelastet. Jede Situation erfahre ich ganz neu.

Wie das geht?  – Ganz einfach!

Ich tue so, als ob ich diese Situation noch nie erlebt hätte. Ich bin neugierig auf die Reaktion meines Kindes. Keine Vorurteile oder Zukunftsvorhersagen trüben mein Erlebnis.

Mein Geist ist ganz still, damit ich nichts vom jetzigen Moment verpasse.

Ich lasse mich von einem sanften „Ich weiß es nicht“ leiten. Denn niemand kann hundertprozentig wissen, was in der nächsten Minute passiert.

Wie wir unseren Anfängergeist entdecken können?

“Indem wir weniger dort verweilen, wo sich unsere Vorurteile und unser Wissen befinden – und zwar im Kopf. Wenn wir uns z. B. durch eine bewusste Bauchatmung auf den Körper konzentrieren, lösen wir uns ein Stück weit vom Kopfdenken.”

(Holger Hagen)

Gerade dann, wenn ich im Alltags-Stress versinke, schenke ich mir eine Meditation und komme heim, zu mir selbst.

Anleitung zum Glücklichsein

„Schubs mich nochmal an, Mama“ Ich sehe meinem Sohn in die Augen, sie strahlen gerade mit der Sonne um die Wette. Da entsteht auf seinen Lippen ein Lächeln, welches sich plötzlich zu einem lauten Lachen verwandelt, als ich ihn anschubse.

Der Wind zerzaust sein Haar so wunderbar. Er fliegt auf seiner Schaukel in Richtung Himmel um dann wieder zu mir zu schaukeln. Ich tue so, als ob ich seine Füßchen schnappen würde. Jetzt kommt ein fröhliches Quietschen aus seinem Mund.

Mein Herz tanzt, mein Bauch füllt sich mit warmer Liebe. Ich lächle. Der Wind bläst klare, frische Luft in mein Gesicht, ich atme ganz tief ein und wieder aus. Was für ein Tag!

Ich entscheide mich, heute Gemüseauflauf zu kochen. „Können wir schnell zum Laden sausen, um Kartoffeln zu holen?“ frage ich meinen Sohn, ohne zu wissen was gleich passieren wird. Ohne zu denken, ich könne in die Zukunft sehen.

Nachdem er eine Weile darüber nachgedacht hat, sagt er: “Ja sicher, ich freu mich schon aufs Essen, kannst du mich vorher noch zweimal anschubsen?

Übrigens, an diesem Tag gab es tatsächlich Gemüseauflauf! 🙂

Alles Liebe

Andrea Schiefer